Arminius und die Schlacht am Angrivarierwall

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The Hermannsschlacht, von Friedrich Gunkel. Gemälde wurde während WW2 zerstört.

Die Schlacht am Angrivarierwall fand während des Feldzugs des Germanicus im Jahre 16 n. Chr. statt. Im Sommer lieferten sich hier die Legionen des Nero Claudius Germanicus und das Koalitionsheer des Arminius ihre letzte kriegerische Auseinandersetzung. Laut Tacitus entschied Germanicus die Schlacht zu seinen Gunsten. Die Lokalisierung der Schlacht ist unsicher. Die meisten Forscher gehen von einem Weser-nahen Ort nördlich der Porta Westfalica aus.

Quellen

Die Schlacht am Angrivarierwall ist einzig bei Tacitus überliefert. Trotz ausführlicher Schilderung bleibt der genaue Schlachtverlauf unklar, eine genaue Schlachtbeschreibung wollte Tacitus allerdings nicht liefern. Der Verlauf der Schlacht kann deshalb nur in Umrissen dargestellt werden.

Teilnehmer und Truppenstärken

Römer und Verbündete

Vor der Schlacht von Idistaviso, die sich einige Tage oder Wochen davor ereignet hatte, verfügte Germanicus über acht Legionen mit Hilfstruppen: Darunter sind von Tacitus germanische Verbündete wie die Bataver (v.a. Reiter), Chauken, sowie keltische Kontingente wie die Raeter, Vindeliker und Gallier bezeugt. Möglicherweise befanden sich auch Ampsivarier, Belger und Friesen unter den Hilfsvölkern. Zusätzlich wurden Bogenschützen und berittene Bogenschützen erwähnt. Die Größe der Verbündeten-Kontingente ist unbekannt, sie dürfte jedoch beträchtlich gewesen sein. Ein Rätsel ergeben die Hilfstruppen in der Schlacht am Angrivarierwall, denn sie werden hierbei mit keiner Silbe mehr erwähnt. Einige Forscher gehen davon aus, dass keine mehr vorhanden waren. Der spätere Angriff auf den Wall spricht sehr dafür, weil in der römischen Kriegskunst die gefährliche Angriffe mit zu erwartenden hohen Verluste, wie z.B. in der Schlacht in Idistaviso (an der vorderster Front), i.d.R. den Bündnispartnern zugeteilt wurden.

Die Legions-Sollstärken von je rund 6.000 Mann wurden am Angrivarierwall keinesfalls erreicht. Es müssen Truppenzahlen in unklarer Höhe abgezogen werden für die in den Garnisonen verbliebenen Besatzungen, für Truppen zur Sicherung der Nachschub- und Kommunikationswege sowie für Verluste in den vorangegangenen Gefechten (s.u. Vorgeschichte).

Für die Truppenstärke des Feldzug-Heeres im Jahr 16 geht Hans Delbrück von „nicht unter 50.000“ aus. Klaus-Peter Johne nennt 80.000. Explizit für die Schlacht am Angrivarierwall setzt Wolfgang Jungandreas viel zu hoch 100.000 Mann an.

Arminius-Koalition

Noch schwieriger gestaltet sich die Angabe der Truppenstärke, die den Cheruskern unter Arminius zur Verfügung stand. Insgesamt dürfte die Koalition stärker als im Vorjahr gewesen zu sein.

Im Wesentlichen wird es sich bei den Verbündeten der Cherusker um die Stämme gehandelt haben, die im Jahr 9 n.Chr. an der Varus-Schlacht beteiligt waren. Gegen diese richteten sich die Militäroperationen des Germanicus in besonderem Maße. Man wird deshalb davon ausgehen können, dass die Brukterer und Marser der Koalition angehört haben. Bei beiden Stämmen konnten Legionsadler sichergestellt werden, die im Jahr 9 erbeutet worden waren. Überdies werden Usipeter, Tenkterer und Tubanten zu den Bundesgenossen gezählt.

Die Chatten gehören neben den Cheruskern und Angrivariern (zu diesen unten mehr) zu den drei Stämmen, die Tacitus in seinem Bericht vom Germanicus-Triumphzug des Jahres 17 besonders hervorhebt: Caesar (Germanicus) hielt seinen Triumph „über die Cherusker, Chatten und Angrivarier sowie die anderen Stämme, die (das Land) bis zur Elbe bewohnten“. Es ist unklar, ob und in welcher Weise sich die Chatten im Sommer des Jahres 16 in das Bündnis des Arminius eingefügt haben. Aufgrund ihrer Rivalität zu den Cheruskern dürften sie allenfalls eigenständig operierend an den Kämpfen teilgenommen haben.

Die Angrivarier schienen im Sommer des Jahres zunächst befriedet, dann jedoch sieht sich Germanicus gezwungen, seinen Reiterlegaten Stertinius zu den Angrivariern entsenden, um deren Abfall „mit Feuer und Mord“ zu bestrafen. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass Teile der römischen Kavallerie die Erhebung eines ganzen Stammes hätten niederschlagen können – laut Sangl immerhin rund 7.500 Krieger –, noch dazu in offenbar kurzer Zeit. Dies legt den Gedanken nahe, dass es sich bei den Aufrührern lediglich um abtrünnige Stammesteile handelte. Diese mögen sich später, der erlittenen Strafexpedition zum Trotz, an der Schlacht am Angrivarierwall beteiligt haben.

Es können weitere kleinere Stämme oder einzelne Gefolgschaften Arminius unterstützt haben. So wird bei Strabon berichtet, der Sugambrer Deudorix (ein Neffe des Lollius-Besiegers Maelo) sei im Triumphzug des Germanicus im Jahr 17 mitgeführt worden. Deudorix könnte Sugambrern vorgestanden haben, die sich der Umsiedlung des Jahres 8 v. Chr. entzogen hatten und auf rechtsrheinischem Gebiet verblieben waren. Er mag dem Arminius eine Gefolgschaft oder ein (sicherlich nicht großes) Stammesaufgebot zugeführt haben.

Strabon zählt weitere Stämme auf (Lander, Kaulker, Kampsaner), die aber entweder unbekannte, kleinere Gruppierungen darstellten oder hinter deren Namen sich lediglich alternative Bezeichnungen für bereits genannte Stämme verbergen. Errechnet man mit Hilfe der bei STANGL für die einzelnen Stämme genannten Daten die Kriegerzahl der Koalition, so erhält man 40.000 bis rund 75.000. Die obere Zahl markiert eine kaum erreichbare Obergrenze. Für die Schlacht am Angrivarierwall könnte selbst die untere Zahl noch zu hoch angesetzt sein wegen des unklaren Status von Chatten, Angrivariern und Gefolgschaften/kleinere Stämme sowie wegen der germanischen Verluste in unbekannter Höhe in den Gefechten zuvor.

Vorgeschichte

Nach der Varus-Katastrophe im Jahr 9 n.Chr. eilte Tiberius, designierter Nachfolger des Augustus, nach Germanien und stabilisierte die Lage. Im Jahr 13 übernahm Germanicus den Oberbefehl und kämpfte möglicherweise noch im gleichen Jahr, sicher jedoch im nächsten. Im Jahr 15 führt er ein Heer wohl bis zu Weser, musste aber große Verluste hinnehmen (u.a. Rückmarsch-Schlacht an den pontes longi). Im Jahr 16 stand Germanicus unter gewaltigem Erfolgsdruck: Tiberius, seit 14 n.Chr. Kaiser, drängte vehement auf den Abbruch der riskanten und verlustreichen Offensiven. Dessen ungeachtet transportierte Germanicus im Sommer des Jahres 16 mit rund 1.000 Schiffen insgesamt acht Legionen mit Hilfstruppen vom Niederrhein über Drususkanal, Ijsselmeer und Nordsee zur Mündung der Ems. Teile der Forschung vermuten eine Fahrt zur Weser statt zur Ems. Der Marsch nach der Landung wird von Tacitus nicht beschrieben.

Am Mittellauf der Weser, wohl bei Minden, trafen die Legionen auf Arminius. Es folgten eine Niederlage batavischer Hilfstruppen in einem Reitergefecht, die Schlacht bei Idistaviso sowie weitere Marschgefechte, von denen lediglich überliefert ist, dass sie die Römer in Bedrängnis brachten („turbant“).

Womöglich befand sich Germanicus bereits in einer Rückwärtsbewegung, als er im Spätsommer auf eine befestigte Stellung der Germanen auflief, die später von der Geschichtsforschung als „Angrivarierwall“ bezeichnet werden sollte.

Verlauf

Aufstellung

Die Germanen hatten die Stelle gut vorbereitet: „Schließlich wählten sie einen Ort aus, der von Fluss und Wäldern eingeschlossen war und im Innern eine enge, feuchte Ebene (bildete)“, berichtet Tacitus; „auch die Wälder umgab ein tiefer Sumpf, nur an einer Seite hatten die Angrivarier einen breiten Wall aufgeschüttet, durch den sie von den Cheruskern getrennt wurden.“

Die germanischen Fußtruppen postierten sich zur Verteidigung des Walles, die Reiterei verbarg sich in benachbarten Hainen oder Lichtungen, um die Legionen in den Rücken zu fassen, sobald sie den Wald betreten würden. Bereits diese Aufstellung ist unklar und kann auch aus dem weiteren Schlachtverlauf heraus nicht sicher gedeutet werden.

Germanicus teilt seine Truppen in drei Teile auf: Der Reiterei unter Seius Tubero übergab er die „Ebene“. Ein (offenbar kleinerer) Teil der Fußtruppen drang problemlos in den Wald vor. Es bleibt unklar, wie man sich diese Anordnung vorzustellen hat und warum diese beiden Truppenteile von der germanischen Kavallerie offenbar nicht attackiert wurden.

Erstürmung des Walles

Den dritten Teil der Truppen, den Hauptteil der Legionen, übernahm Germanicus selbst. Er ließ den Wall angreifen, zunächst erfolglos. „Der Feldherr bemerkte den ungleichen Nahkampf, zog die Legionen etwas zurück und ließ Schleuderer und Wurfschützen Geschosse entsenden und den Feind vertreiben; aus den Wurfmaschinen entsandte man Lanzen, und je mehr Verteidiger sichtbar wurden, desto mehr sanken unter Wunden nieder.“

Es ist unklar, warum Germanicus die Fernwaffen erst im zweiten Anlauf einsetzen ließ. Nicht befriedigen kann die Erklärung von Paul HÖFER, dem zufolge der Einsatz ein Ablenkungsmanöver war, um eine Umgehung der germanischen Front zu verbergen. Unverständlich ist, warum ein Verteidigungswall nicht Schutz vor Fernwaffenbeschuss hätte bieten sollen. Möglicherweise mussten die Legionäre (entgegen der Angabe bei Tacitus, der von Zurücknahme der Legionen spricht) den Wall gleichzeitig zum Beschuss angreifen, um die Verteidiger auf die Wallkrone und hinter eine (möglicherweise unzureichend gegen Katapultbeschuss schützende) Brustwehr aus Flechtwerk zu locken. Dies wäre jedoch ein für die Angreifer riskantes Verfahren gewesen, das wohl kaum ohne römische Verluste durch „friendly fire“ abgelaufen sein dürfte. Möglicherweise lag hierin auch der Grund für den anfänglichen Verzicht auf die Fernwaffen. Ihr schließlicher Einsatz könnte auf eine gewisse Verzweiflung der römischen Führung hindeuten.

Kampf in den Wäldern

Nachdem der Wall beschädigt war, griff der junge Cäsar persönlich mit seinen prätorischen Kohorten den Wall an. Er bemächtigte sich dem Wall und drang in den dahinterliegenden Wald ein. Der Einsatz der Prätorianer, die Leibgarde des Kaisererben, sowie der Einsatz von Germanicus selbst, stellt kein normales Verfahren nach gängiger römischer Schlachtstrategie dar und ergab für die Römer eine höchst kritische Schlachtsituation.

Im Wald entbrannte ein für beide Seiten mörderischer Kampf: „Den Feind schlossen im Rücken der Sumpf, die Römer[,] Fluss oder Berge ein: Für beide (war) der Ort unabänderlich, (lag) die Hoffnung in der Tapferkeit, (kam) das Heil aus dem Sieg.“ Der Nahkampf wogt hin und her, die germanischen Anführer Arminius und Inguiomerus verlässt, so Tacitus, das Kriegsglück.

Schlachtausgang

Germanicus befahl keine Gefangenen zu machen. Nach einem langen Kampf bis zum späten Abend gab Germanicus den Befehl zum Rückzug sowie die „Ausrottung des Volkes“ auf. Eine Legion wurde für das Errichten eines Lagers abkommandiert, während die anderen Legionen zur Deckung des Lagersbau noch bis tief in die Nacht kämpfen mussten. Am nächsten Morgen ließ Germanicus als Trophäe Waffen der Gegner aufschichten (nach Tacitus kein Tropaion oder Tumulus!) und lobte die Sieger in einer öffentlichen Versammlung. Die Rolle der Kavallerietruppen blieb bis zum Schluss unklar. Tacitus bemerkt lapidar: „Die Reiter kämpften ohne Entscheidung“.

Germanicus hatte sich zwar mit einer erfolgreichen Lagerbau behauptet, befahl jedoch anschließend „da aber der Sommer sich bereits dem Ende zuneigte“ die Rückkehr in die Winterquartiere an den Rhein. Diese Maßnahme erscheint angesichts des Sieges sowie des Erfolgsdrucks, der auf Germanicus lastete, befremdlich. Die Forschung hat verschiedene Gründe angeführt. Zum Beispiel: Eine Wiederbesetzung des Angrivarierwalles durch die Germanen in der Nacht, das bedrohliche Vorrücken des zwar geschlagenen, aber nicht vernichteten Arminius-Heeres in Richtung der Flottenbasis oder die Ansicht, dass es sich beim Sieg des Germanicus lediglich um eine erfolgreiche Durchbruchschlacht des sich zurückziehenden römischen Heeres gehandelt habe. Möglicherweise hat es sich um eine Vorsichtsmaßnahme gehandelt, um bei der Rückführung der Truppen per Schiff nicht in Herbststürme zu geraten.

An der Ems angekommen folgte die Rückfahrt zur See, wodurch ein Sturm zur Seekatastrophe des Germanicus mit hohen Verlusten an Mensch und Material führte. Nach Tacitus überstand nur die Triere des Germanicus von eintausend Schiffe. Am Ende musste Legat Stertinius, Nachfolger von Aulus Caecina Severus, mit Hilfe der Angrivarier „eine große Zahl“ von römischen Kriegsgefangenen freikaufen.

Folgen

Tiberius ging zu einer defensiveren Politik in Germanien über. Die von Kaiser Tiberius 16 n. Chr. gegenüber dem Germanicus ausgegebene Doktrin, die Germanen ihren inneren Streitigkeiten zu überlassen, anstatt sie unter hohen römischen Verlusten in ihren Wäldern und Sümpfen zu bekämpfen, ging auf: Nach dem Tod des Arminius (ca. 21 n. Chr.) löschte sich die cheruskische Aristokratie durch Bruderfehden zunehmend aus, so dass im Jahr 47 n. Chr. die Cherusker in Rom um einen geeigneten Fürsten nachsuchten. Rom gewährte ihnen daraufhin den Italicus. Sein Erfolg bei der Befriedung der Blutfehden war jedoch begrenzt. Tacitus konnte um 100 n. Chr. schreiben, dass das vor kurzem noch so starke und wichtige Cheruskergeschlecht bis auf einen elenden Haufen nicht mehr existierte, wobei die Cherusker natürlich nur ein Stamm der Germanen waren, die sich mit anderen Stämme zum Volk der Sachsen entwickeln sollten.

Daraufhin hatte Rom weitere Provinzverluste in Germanien – u.a. Chauken, Friesen – was erst unter Kaiser Vespasian im Bataveraufstand sein Ende am Rhein fand. Etwa um 90n.Chr. wurden die Provinzen Germania superior und Germania inferior, sowie das Civitas Taunensium, von Kaiser Domitian erschlossen. Germania Magna blieb unabhängig und wurde von den historischen, meist senatorischen Quellen, gerne als Freies Germanien bezeichnet, bzw. brachten Germania gerne mit Freiheit in Verbindung. Die Hauptquelle Tacitus verwendete es geradezu inflationär. Aus anderen Bündnispartnern(Brukterer, Tenkterer, Chatten etc.) entwickelte sich das Volk der Franken.

Weitere Streifzüge der römischen Legionen blieben nicht aus. So bezeugen Funde am Harzhorn, dass noch im 3. Jahrhundert n. Chr. (über 220 Jahre nach der Varusschlacht) weit im vermeintlich germanischen Gebiet größere römische Verbände tätig waren.

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